Ausgangslage

Im aktuellen Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetz für NRW (FSHG NRW) steht im ersten Paragraphen beschrieben, dass die Gemeinden eine „den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehr“ vorhalten bzw. unterhalten müssen. Es stellt sich nun bereits seit Jahren, besonders bei Freiwilligen Feuerwehren, die Frage, was dies denn nun genau bedeutet. Auch im Entwurf des kommenden Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) vom 12.11.2014 hat sich dieser Passus nicht geändert. Es obliegt somit weiterhin der Auslegung, wie sich eine, den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehr zusammensetzt.

Schutzzieldefinition der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren

Bereits im September 1998, also ca. ein halbes Jahr nach In-Kraft-Treten des ursprünglichen FSHG wurde unter anderem dieses Problem durch ein Papier der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren Bund (AGBF Bund) angegangen. Da sich der Gesetzgeber nicht festgelegt hat, was eine leistungsfähige Feuerwehr ist, war es insbesondere für rein ehrenamtliche Freiwillige Feuerwehren schwer, die Auslegung eigenständig durchzuführen. In den „Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren für Qualitätskriterien für die Bedarfsplanung von Feuerwehren in Städten“ wurde diese Problematik aufgegriffen und ein Standard für die Kennzahlen Hilfsfrist, Funktionsstärke und Erreichungsgrad definiert. Dieses Papier ist mittlerweile als anerkannte Regel der Technik bundesweit Vorlage für die Erstellung von Bedarfsanalysen des Brandschutzes. Obwohl das ursprüngliche Papier ausdrücklich die brandschutztechnische Versorgung in Städten zum Thema hatte, wurde mit der Zeit akzeptiert, dass die Inhalte auch für Freiwillige Feuerwehren gelten. Es ist fraglich, ob die beschriebenen Kennzahlen durch Freiwillige Feuerwehren überhaupt erreichbar sind. Ferner muss hinterfragt werden, ob die zugrundeliegenden Annahmen überhaupt uneingeschränkt auf kleinere, ländliche Kommunen übertragbar sind.

Orbit-Studie

Als Grundlage der Bewertung wird die sogenannte Orbit-Studie herangezogen, welche besagt, dass die Erträglichkeitsgrenze für Menschen im Brandrauch bei ca. 13 Minuten und die Reanimationsgrenze bei ca. 17 Minuten Verweildauer liegt. Nach dem Überschreiten dieser Grenze sinkt die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Reanimation signifikant.

Standardszenario

Eine weitere Grundlage dieser Definitionen bildet das Standardszenario, welches für deutsche Städte durchaus realistisch ist, der Wohnungsbrand mit Menschenrettung im ersten Obergeschoss eines mehrgeschossigen Gebäudes. Dieses Szenario wird als Grundlage für die Erstellung einer lokalen Risikoanalyse definiert. Das mag für eine städtisch geprägte Kommune auch zu einer realistischen Einschätzung des Risikos führen, berücksichtigt jedoch keine ländlichen Strukturen, mit geringeren Eintrittswahrscheinlichkeiten für Brände, oder auch die oft nicht vorhandene Bebauung, welche im Standardszenario angenommen wird. Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle auf die Gemeinde Roetgen eingehen, bei der ich in der Freiwilligen Feuerwehr tätig bin. Im Gemeindegebiet liegt der Anteil an mehrgeschossigen Gebäuden geschätzt bei einem Wert von unter 10%. Ein typisches Gebäude für die Gemeinde wäre hier z.B. das anderthalbgeschossige Einfamilienhaus, welches durch maximal 3-4 Personen bewohnt wird. Hier wird deutlich, dass das Szenario sowohl bei der Gebäudestruktur, als auch bei der typischen Anzahl der potentiell gefährdeten Personen, nicht die Realität wiedergibt. Es schadet in diesem Fall natürlich nicht, wenn die Bemessung aufgrund eines höherwertigen Szenarios erfolgt, nur stoßen wir hier wieder auf das bereits erwähnte Problem des Erreichens der definierten Kennzahlen.

Hilfsfristen, Funktonsstärke und Schutzziele

Die oben geschilderten Grundlagen führen nach Auswertung der Ergebnisse und der taktischen Überprüfung der notwendigen Maßnahmen zu den sogenannten Hilfsfristen. Diese beschreiben die maximale Dauer, bis eine definierte Anzahl an Feuerwehrleuten die Einsatzstelle erreicht. Diese Hilfsfrist setzt sich aus der Gesprächs- und Dispositionszeit der Leitstelle sowie der Ausrücke- und Anfahrtszeit der Feuerwehr zusammen. Hierbei sind für die Feuerwehr nur die Ausrücke- und Anfahrtzeit zu beinflussen. Beide Zeiten addieren sich insgesamt zu 8 Minuten für die erste und 13 Minuten für die nachrückende Einheit. Hierbei kommt dann zusätzlich die Funktionsstärke hinzu, welche zusätzlich die Anzahl der einsatztaktisch notwendigen Feuerwehrkräfte definiert. Beide Kennzahlen ergeben kombiniert die Schutzziele. Das erste Schutzziel ist somit mit dem Eintreffen von 10 Funktionen nach 8 Minuten nach Alarmierung definiert. Das zweite Schutzziel fordert weitere fünf Funktionen nach insgesamt 13 Minuten.

Auswirkungen für die Feuerwehren

Für hauptamtliche Feuerwehren ist es in der Theorie nun recht einfach über die Einrichtung von Beamtenstellen die geforderten Personalstärken zu erreichen, klammert man die entstehenden Kosten an dieser Stelle mal aus der Betrachtung aus. Reine Freiwillige Feuerwehren müssen jedoch, berücksichtigt man einen Personalausfallfaktor von 5, mindestens 80 Mitglieder aufweisen, damit diese Schutzziele durchgehend erreicht werden können. Und dies ist natürlich auf das gesamte Gemeindegebiet zu beziehen, so dass bei mehreren Standorten auch alle Standorte über entsprechendes Personal verfügen müssen, sofern ein Rendesvous-System aufgrund der Geographie nicht möglich ist. Der Personalausfallfaktor kann natürlich örtlich variieren, jedoch liegen die Zahlen in der Regel außerhalb der Möglichkeiten einer Freiwilligen Feuerwehr.

Szenarienorientierte Bemessung vs. risikoorientierte Bemessung

Ein Ansatz, dieses Problem anzugehen und vor allem den Freiwilligen Feuerwehren realistische Schutzziele an die Hand zu geben, wäre an dieser Stelle die Einführung einer risikoangepassten Bemessung der Feuerwehr. Im Gegensatz zu der ungenauen szenarienbasierten Bemessung, könnte mit dieser Art der Bemessung das tatsächliche Risiko für jede Gemeinde, auch für kleinere Gliederungsebenen ermittelt werden. In die Risikoanalyse würden verschiedene Kennzahlen einfließen. So kann über statistische Auswertungen die Wahrscheinlichkeit eines relevanten Einsatzes in einem definierten Bereich ebenso in die Bewertung eingehen, wie die Bevölkerungsdichte, die durchschnittliche Bebauung oder auch die Art der Nutzung. Auf diese Weise kann man beliebig kleine Gleiderungsebenen getrennt voneinander betrachten. Man sollte hier jedoch den Maßstab nicht zu klein wählen, da die Aussagekraft aufgrund geringer statistischer Daten irgendwann nicht mehr verbessert werden kann. Das ermittelte Risiko kann man nun heranziehen um über vorab definierte Risikoklassen die Schutzziele zu definieren. So ist es z.B. meines Erachtens vertretbar eine Erhöhung der Eintreffzeiten zu planen, wenn sich in dem betrofffenen Bereich, z.B. aufgrund einer dünnen Besiedlung, eine geringe Einsatzhäufigkeit und somit Eintrittswahrscheinlichkeit zeigt. Weiterhin kann über die Definition des typischen Gebäudes für jeden Bereich der Kräfteansatz, welcher zur Bewältigung eines Einsatzes notwendig ist, angepasst werden. Diese risikoangepasste Personalbemessung wurde im Jahr 2007 bereits durch das Referat 5 der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (vfdb) aufgegriffen. Der Technische Bericht „Elemente zur risikoangepassten Bemessung für die Brandbekämpfung bei öffentlichen Feuerwehren“ umfasst unter anderem die Auswahl eines realistischen Szenarios für definierte Bereiche. Aufbauend auf dieser Definition kann auch die notwendige Funktionsstärke für verschiedene Ortslagen unterschiedlich ausfallen. So ergibt sich z.B. für das Szenario eines Küchenbrandes mit einer Person am Fenster und einer vermissten Person ein Kräftebedarf von 9 FM(SB).
Diese Art der Bemessung schafft es somit, die notwendige Leistungsfähigkeit einer Feuerwehr wesentlich genauer darzustellen. Insbesondere in ländlichen Gegenden kann dies zu einer Reduzierung des Personalbedarfs führen, wodurch die jeweilige Feuerwehr, ohne Änderungen an der Personalstruktur durchzuführen, einen wesentlich realistischeren und auch höheren Erreichungsgrad erzielen kann. Ferner hilft dies den Gemeinden und Städten insgesamt realistischer die notwendige Vorhaltung der Feuerwehr zu ermitteln und somit auch ggf. eine wesentlich kostenoptimiertere Feuerwehr einzurichten. Dies wird natürlich nicht nur zu einer Verringerung des Bedarfs führen. Im Bereich großer Städte kann auch der umgekehrte Fall eintreten, dass festgestellt wird, dass mit dem vorgehaltenen Personal eine effiziente Bekämpfung von Schadenslagen, welche vor Ort wahrscheinlich und realistisch sind, nicht, oder nur eigeschränkt, möglich ist.

Internationaler Vergleich der Brandschutzbedarfsplanung

Um ein relativ häufiges Zitat zu nutzen, man muss das Rad nicht neu erfinden. Daher lohnt sich oftmals auch ein Blick über Ländergrenzen hinaus. Wie bemessen andere Länder die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr. Wird eher szenarienorientiert oder eher risikoangepasst bemessen. Mit diesem Thema hat sich 2013 auch der Kollege Martin Weber im Rahmen seiner Facharbeit während der Ausbildung für den höheren Feuerwehrtechnischen Dienst befasst. In dieser Arbeit wird unter anderem festgestellt, dass es keine einheitliche Verfahrensweise gibt. Auffällig ist jedoch, dass insbesondere in der jüngeren Vergangenheit der Trend zur risikoangepassten Bemessung tendiert. Jene Länder, die eine szenarienoptimierte Anpassung durchführen, haben dieses System in der Regel bereits seit längerer Zeit in Anwendung. Noch recht „frisch“ ist gemäß dieser Arbeit die Einführung von Risikomanagement und des entsprechenden Personalmanagements in den Niederlanden und Finnland. Hierbei stellt sich heraus, dass grundsätzlich eine Steigerung der Effizienz der Einheiten festzustellen ist.
Auch für NRW und ggf. ganz Deutschland sollte meiner Meinung nach zumindest über die Möglichkeit der Abkehr von einem bewährten aber auch alten System nachgedacht werden.

Seht Ihr das anders? Diskutiert mit in den Kommentaren!

Max Nüßler

Kopterflieger, Hobby-Filmer, Berufsfeuerwehrmann und Teilzeit-Blogger

Als Berufsfeuerwehrmann bin ich Teil der Berufsfeuerwehr Aachen. Ich bin dort als Einsatzleiter verantwortlich für die Führung des Teams an Einsatzstellen. Zudem bin ich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr Roetgen ehrenamtlich tätig. Weiterhin arbeite ich an meinem Youtube-Kanal und meiner Webseite mit den Inhalten Feuerwehr, Drohnenflug und Film.

I am a professional Fire Fighter working at the Fire and Rescue Service of Aachen, Germany. While on shift in my role as Incident Commander I am responsible for leading the deployed units in case of an emergency. Additional I´m a Volunteer Fire Fighter in the municipaltity of Roetgen, south of Aachen.

Furthermore I run my own youtube channel and website dealing with firefighting, drone-flying and filming.